Infrastruktur

PRO BAHN fordert Elektrifizierung der Hochrheinstrecke und der Bodenseegürtelbahn

Das Land Baden-Württemberg und der Kanton Schaffhausen haben Interesse an der Elektrifizierung der Hochrheinstrecke Basel-Singen bekundet. Der Abschnitt Singen-Schaffhausen ist schon seit einiger Zeit elektrifiziert, Schaffhausen-Erzingen wird in Kürze folgen. Mögliche Fahrplankonzepte wurden in einer Studie der beiden Aufgabenträger untersucht.

Nach ersten Kostenschätzungen (mindestens ca. 110 Millionen Euro vor allem wegen problematischer Tunnelquerschnitte) scheint das Land bereits wieder zu bremsen. Für den logisch zugehörigen Abschnitt Radolfzell-Friedrichshafen ist eine Realisierung allenfalls in einem zweiten Schritt angedacht.

Genau das ist nicht hinnehmbar. Den aus der Not geborenen IRE-Sprinter Ulm-Basel, der sich als höchst erfolgreich und weit beliebter als mit der Führung Basel-Lindau erwiesen hat, wird es zwar mit neuem Fahrplankonzept auf der elektrifizierten Südbahn voraussichtlich nicht mehr geben. Eine Elektrifizierung nur von Hochrheinbahn und Südbahn würde aber bedeuten, dass auf der Strecke Ulm-Basel dann zwei Mal umgestiegen werden müsste, wenn das verbleibende Stück zwischen Radolfzell und Friedrichshafen nicht mit ausgebaut würde.

Eine vergleichbare Situation gibt es heute auf der Strecke Konstanz - Freiburg, wo auf einer sogar noch wesentlich kürzeren Strecke das Dieselloch zwischen Neustadt und Donaueschingen die Fahrt auch zwei Mal zum Umsteigen unterbrochen werden muss.

Handlungsbedarf ist aus mehreren Gründen dringend gegeben:

Die derzeit eingesetzten Neigetechnikzüge VT 611 sind durch zahlreiche Pannenserien in der Vergangenheit aufgefallen. Auch aktuell ist die Neigetchnik wegen technischer Probleme, die an baugleichen Teilen der Baureihe VT 612 aufgetreten sind, ausgeschaltet. Die Nutzungsdauer der Züge geht allmählich auf ihr Ende zu. Geeignete Nachfolgemodelle sind derzeit am Markt nicht erhältlich und müssten mit großem Aufwand entwickelt werden.
Das oben zitierte Gutachten belegt, dass die rechnerischen Fahrzeitverluste für konventionelle elektrische Fahrzeuge sehr gering bleiben. Voraussetzung ist eine Spurtstärke, die beispielsweise die FLIRTs (eingesetzt bei der S-Bahn Basel und auf dem Seehas) aufweisen. Die verbleibende Fahrzeitdifferenz ist für das Erreichen der Anschlüsse nicht problematisch und wird zudem großteils durch kürzere Fahrgastwechselzeiten kompensiert.
Beim VT 611 geht, je nach Streckenprofil und Haltepolitik, ein nicht unbeträchtlicher Teil des neigetechnikbedingten Fahrzeitgewinns durch ebenfalls letztlich neigetechnikbedingte ungünstige Einstiegsverhältnisse verloren.
Neigetechnikzüge lassen sich nicht barrierefrei für die weit verbreiteten 55-cm-Bahnsteige bauen. Mit den Konjunkturprogrammen werden zahlreichen Haltepunkte modernisiert, was aber wenig nutzt, wenn der schmale und hohe Einstieg des VT 611 erklommen werden muss.
Rollstuhlfahrer sind vom Transport auf der Strecke weitgehend ausgeschlossen, was sich mit grundlegenden Prinzipien unserer Gesellschaft nicht verträgt.
Ab dem Jahr 2016 stehen die Ausschreibungen in Baden-Württemberg an. AUch aus diesem Grund muss schnellstmöglich Klarheit geschaffen werden, ob Basel-Singen und Basel-Friedrichshafen mit Diesel- oder elektrischen Zügen gefahren werden soll bzw. kann.
Schon die Elektrifizierung der Südbahn macht den Dieselbetrieb betrieblich schwieriger. Bislang ist es einfach, die Fahrzeuge mittels normaler Umläufe zur Wartung nach Ulm zu bringen. Zukünftig wird das nur noch mit Einschränkungen möglich sein.

Die Neigetechnik hat und hatte ihre Berechtigung. Die Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass die Technik dauerhaft störanfällig ist und Fahrzeug wie Infrastruktur stark belastet. Auf der Bodenseegürtelbahn sind die Zeitvorteile wegen der absolut geringeren Geschwindigkeit relativ groß, aber auch hier lässt sich ein stabiler Fahrplan ohne Neigetechnik konstruieren. Die Vorteile elektrischer Züge und vor allem dei Möglichkeit der Durchbindung von Zügen nach Basel und Lindau dürften die Fahrzeitverluste kompensieren. Der Regionalbahnverkehr, der ja ohne Neigetechnik fährt, dürfte ebenfalls profitieren.

Am Hochrhein stehen die kaum spürbaren zeitlichen Vorteile der Neigetchnik in keinem Verhältnis zum andauernden Ärger. Hier lässt eine Elektrifizierung und der Einsatz erprobter Fahrzeuge wie den FLIRT eine hohe Angebotsqualität erwarten, die sowohl Fahrgästen wie dem Betreiber Spass machen werden.

04.12.2009

letzte Aktualisierung: 11/2024