Zum 15. Dezember führt die Deutsche Bahn AG ihr lange angekündigtes neues Tarifsystem ein. In ihrer Medienkampagne verspricht die Bahn übersichtlichere Tarife und Preisvorteile für nahezu alle Fahrgäste.
Tatsächliche zählen Familien mit Kindern bis 14 Jahren zu den Gewinnen, denn künftig reisen diese mit ihren Eltern oder Großeltern kostenlos. Auch Autofahrern, die nach vielen Jahren erstmals wieder nach einem Ticket der Bahn fragen, wird mit den sogenannten Plan- und Spartarifen ein interessantes Angebot gemacht, das sich im Gegensatz zu den bisherigen Sparpreisen auch schon bei mittleren Entfernungen lohnt. Dies gilt auch für Reisen in die Nachbarländer Österreich und Schweiz, die in das System aus Plan- und Spar-, Mitfahrer und BahnCard-Rabatten integriert werden.
Verlierer sind hingegen die Stammkunden der Bahn, die bisher flexibel alle Züge nutzen und dabei mit der BahnCard 50 % des Fahrpreises sparen konnten. Nun reduziert sich der BahnCard-Rabatt auf 25 %, was besonders Jugendliche und Senioren trifft, denn für sie wird die neue BahnCard nicht billiger als die alte. Das Fehlen eines besonderen Angebots für die Fahrgäste der Zukunft drängt die Jugendlichen im Führerscheinalter geradezu zur Benutzung von Auto oder Motorrad, was angesichts der hohen Unfallzahlen gerade bei dieser Gruppe eine bedenkliche Entwicklung darstellt.
Die Deutsche Bahn AG behauptet, nun endgültig mit dem sogenannten Tarifdschungel Schluss gemacht zu haben. Ob allerdings der neue Tarif wirklich übersichtlicher ist, erscheint bei näherem Hinsehen eher fraglich. So gibt es z.B. für die Verbindung von Ulm nach Bremen fünf unterschiedliche Basistarife bei vergleichbarer Angebotsqualität und Fahrzeit, was für ein Hin- und Rückfahrtticket bereits 15 verschiedene Preisvarianten ergibt. Verschärft wird das Problem noch dadurch, dass mit jeder Fahrkarte zukünftig auch der genaue Verkehrsweg festgelegt werden muss, so dass selbst mit dem angeblich flexiblen Grundpreis ein freizügiges Reisen nur noch mit großen Hindernissen möglich ist.
Die als Ausgleich für die Reduzierung des BahnCard-Rabattes angebotenen Plan- und Spartarife gelten nur im Fernverkehr und schränken die Flexibilität des Reisens noch weiter ein, denn sie zwingen den Kunden, sich im auf eine bestimmte Verbindung festzulegen. Der Fahrgast geht mit diesem Tarif ein finanzielles Risiko ein, denn wenn er die gebuchte Verbindung nicht erreicht, weil er z. B. auf dem Weg zum Bahnhof im Stau steckengeblieben ist, verlangt die Bahn für die Benutzung eines anderen Zuges neben der Rückzahlung des Vorausbuchungsrabattes noch eine Umbuchungsgebühr von 45 €. In vielen Fällen ist es dann günstiger, die ungebrauchte Fahrkarte wegzuwerfen und eine neue zu erwerben. Daraus ergeben sich auch für das Tourismus- und Kurgewerbe völlig neue Haftungsfragen, denn viele Vermieter, die heute einen Transfer vom Hotel oder der Pension zum Bahnhof anbieten, müssen in Zukunft u. U. mit Regressforderungen wegen Nichterreichens eines Zuges rechnen.
Den größten Schaden richtet das neue Tarifsystem aber im Nahverkehr an, denn hier kommen auf die Fahrgäste in Baden-Württemberg zum Teil enorme Preissteigerungen zu. Hier reisen aufgrund der kleinräumigen Nahverkehrsorganisation mit 19 Verkehrsverbünden viele Fahrgäste mit Tarifen der DB AG. Diese stellt nun zum 15.12. alle verbliebenen InterRegio-Züge auf Intercity-Züge um und streicht gleichzeitig alle Sonderregelungen, die bisher z.B. im Filstal die Benutzung der ICs ohne Zuschlag ermöglichten, um sie in das System des Filstaltakts einzubinden. Mit Preiserhöhungen von über 50 % (z.B. Göppingen - Stuttgart 10 € statt 6,60 €) werden nun Nahverkehrskunden aus diesen Zügen vertrieben, wodurch das Taktgefüge auf dieser Strecke zerstört wird. Die mangelnde Kundenorientierung der DB AG gegenüber den Nahverkehrsreisenden, die immerhin 92 % ihrer Kundschaft stellen, bekommen auch die Fahrgäste der Südbahn zu spüren. Hier verkehrt ab 15.12. morgens der IC Lindau-Dortmund anstelle des schnellen Interregionalexpresses, der sonst im Stundentakt zwischen Friedrichshafen und Ulm fährt. Diese begrüßenswerte Neuerung ist aber auch hier mit maßlosen Preiserhöhungen von fast 50 % verbunden (z.B. Aulendorf - Ulm 13,40 € anstatt 9 €) obwohl die Fahrzeiten gleich sind. Für Fahrgäste mit BahnCard verteuern sich diese Tarife durch die Senkung des BahnCard-Rabattes um weitere 50%.
Die einseitige Ausrichtung des neuen Tarifsystems am Fernverkehr läßt den Schluss zu, dass die DB AG an den Kunden des Nah- und Regionalverkehrs wenig Interesse hat. Dieser Umstand wird durch das Fehlen von erfolgsabhängigen Komponenten bei der Nahverkehrsfinanzierung begünstigt. Wenn der Fahrgastzuwachs der letzten Jahre beim Nahverkehr in Baden-Württemberg nicht wieder verloren gehen soll, muss das Land als Hauptfinanzier des Schienennahverkehrs nun aktiv die Schaffung einheitlicher Tarifstrukturen für das ganze Land vorantreiben, was mit der weiter voranschreitenden Liberalisierung des Schienenverkehrsmarktes früher oder später ohnehin notwendig sein wird.
Dr. Wolfgang Staiger, Stellvertretender Landesvorsitzender PRO BAHN Baden-Württemberg e.V.
letzte Aktualisierung: 11/2024